An einigen Stellen spielt das Stück „Bernstein“ mit Begriffen, die als soziale Rollenzuschreibungen verstanden werden können. Zwei besonders interessante Beispiele sind die folgenden:


愤青


Der Begriff 愤青 fenqing (zorniger Jugendlicher) ist eine kürzere Form des gleichbedeutenden Begriffs 愤怒青年 fennu qingnian. Als „fenqing“ wird im Internet-Zeitalter die Gruppe radikal patriotischer Jugendlicher bezeichnet, die sich durch ihre stark nationalistische und besonders den USA und Japan gegenüber feindliche Einstellung auszeichnet. Ihre Frustration und ihren Zorn äußern diese Jugendlichen vor allem in Internetforen, im Zuge von außenpolitischen Konflikten kann es aber auch zu Ausschreitungen auf der Straße kommen. Große mediale Beachtung fanden „die zornigen Jugendlichen“ im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking.


Der „zornige Jugendliche“ im Stück Bernstein von Liao Yimei hat seinen ersten Auftritt in der ersten Szene. Er gehört zu der Gruppe von Personen, die sich um die Hauptperson des Stücks, Gao Yuan, gebildet hat. Seinen Worten im Stück ist keine politische Agenda zu entnehmen, er fällt hauptsächlich durch eine derbe Ausdrucksweise und ein großes Interesse an Rockmusik auf.


博士


博士 boshi ist die chinesische Bezeichnung für den Doktorgrad. Von jemandem, der mit 博士 angesprochen wird, ist also in der Regel ein gewisser Bildungsstandard zu erwarten.

Im Theaterstück Bernstein hat der Doktor seinen ersten Auftritt in der ersten Szene. Er gehört ebenfalls zur Gruppe um die Hauptperson Gao Yuan. Seine ersten gelallten Worte sind ein kurzes Gedicht, das vom Stil an die Poesie der Tang-Dynastie (618-907) erinnert. Sucht man nach diesem Gedicht, stellt sich schnell heraus, dass es nicht etwa von Li Bo oder einem anderen Tang-Dichter stammt, sondern aus dem Jahr 1992, genauer gesagt aus dem Martial Arts-Film Swordsman II aus Hongkong.


In der ersten Szene wird angedeutet, dass der Doktor seine Zeit wohl hauptsächlich mit dem Genuss von Alkohol und Kaffee verbringt. Seine Ausdrucksweise an manchen Stellen ist ebenfalls sehr derb und würde eher zu den jüngeren Mitgliedern der Gruppe passen (大哥!直说吧,让我干什么吧?).


Von Gao Yuans Idee, gemeinsam einen Erotikroman zu schreiben, ist er begeistert, wollte er doch schon immer eine Fortsetzung des berühmt-berüchtigten Romans Jin Ping Mei – Pflaumenblüte in goldener Vase aus dem 17. Jh. verfassen. Beim Diskutieren über die Besetzung der „Autorin“ fällt er mit seinen Vorschlägen auf, die wenig von dem Anstand oder der Moral zeugen, die man bei einem Gelehrten erwarten würde:

◦ „Wir sagen, sie ist erst 17!“

◦ „Eine verruchte junge Autorin, die eine Geschlechtsumwandlung hatte!“

◦ „Keine Schauspielschülerin, das wäre nicht alternativ genug.“


Frederick Stein